Radiojournalismus ist tot!
Die neueste Media-Analyse bescheinigt dem Radio zwar wieder höchste Nutzungszahlen, doch verdankt das Radio diesen Erfolg heute kaum noch seinen journalistischen Angeboten. Dennoch: Die Nachfrage nach auditiv präsentierten Informationen bleibt ungebrochen, wie beispielsweise der aktuelle Podcastboom belegt (Koch/Schröter 2015).
Niemand wird davon überrascht sein – die Zukunft des Radio-Journalismus liegt im Netz, nicht im Küchenradio: Aus Radiojournalismus wird Audiojournalismus. Und die Formenvielfalt, das Netz mit Sound zu füllen, ist unüberschaubar: von privaten und privat-kommerziellen Podcasts über die Audio-On-Demand-Angebote der Öffentlich-Rechtlichen bis hin zu Soundwalks audiophiler Journalisten und Soundkünstler. Sogar die Multimedia-Reportagen, die seit Snowfall (New York Times, 2012) als Das große Ding im modernen Journalismus gehandelt werden, lassen sich bereitwillig in die Tradition des Radiofeatures stellen (Westphal 2014).
Radiojournalismus lebt weiter!
Welche Stärken des Mediums Radio können im Netz weiterleben? Welche Praktiken, welches Know-how aus über 90 Jahren Entwicklungsgeschichte des Radios sind im multi- und crossmedialen Kontext von Smartphones und Tablets weiterhin von Belang? Mit diesen Fragen befassen wir uns im Projekt Audiojournalismus.
Im Wintersemester 2015/16 erproben wir mit Tübinger Masterstudierenden der Medienwissenschaft das Scrollytelling-Tool Pageflow und versuchen, die Langform des traditionsreichen Radiofeatures in eine multimediale Form zu transponieren. In eine Form, die neben Audio auch geschriebenen Text, Grafiken, Fotos und Videos mit einbezieht. Im Zentrum steht aber stets der gut recherchierte und gut produzierte Ton, sei es der O-Ton interessanter Interviewpartner oder die Soundscape immersiver Räume.
Die Idee von Radio im Netz
Unsere journalistische Grundidee bleibt dabei: Radio ist ein einfaches Medium, das Menschen ohne große technische Hürden eine Stimme verleiht (Häusermann 1998). In genau dieser Tradition sehen wir auch die Multimedia-Reportage. Fotos und Videos machen unsere Studierenden deswegen mit dem Werkzeug, das heute beinahe jeder Jugendliche in der Tasche trägt – mit dem Smartphone. Die ubiquitäre Verfügbarkeit günstiger Schnittprogramme und guter Open-Source-Software trägt dazu bei, dass wir auch multimediale Geschichten erzählen könnnen, ohne auf Zugang zu teuren Produktionsanlagen angewiesen zu sein.
Wir verbinden die praktische journalistische Arbeit mit theoretischen Überlegungen. Wir denken darüber nach, was Radio ist, und was es sein kann. Wir entwickeln crossmediale Arbeitsstrukturen, um multimediale Produkte herzustellen. Und wir versuchen, das Potential von Audio im Netz auszuloten und zu erweitern.